Sie dreht sich also immer noch. Irgendwie schon enttäuschend, nicht? Schon wieder sind die Erwartungen eines diesmal aber wirklich endgültigen Weltenbrands zunichte gemacht worden. Keine Außerirdischen haben sich blicken lassen und weder der Messias noch sonstige höhere Wesen sind als unerbittliche Richter auf uns herabgefahren. Dabei hätte alles so schön sein können: Eine epische Sintflut hollywoodesken Ausmaßes hätte über uns hereinbrechen können. Die Alpen unter Wasser, das wäre doch mal eine Abwechslung gewesen. Die Auferstehung der Toten in Fleisch und Saft, wie von der katholischen Kirche seit Jahrhunderten versprochen, hätte eine willkommene Alternative zum ewig gleichen Fernsehprogramm dargestellt. Aber nein, statt fliegenden Untertassen, die die Metropolen der Menschheit in Trümmer schießen, gibt es nur wieder die aktuellen Börsenkurse in den Nachrichten. Statt riesiger Kometen, die den Planeten bedrohen, werden nur die Lottozahlen durchgesagt. Ja, vielleicht gibt es wieder irgendwo einen Tsunami. Da ist wenigstens was los. Aber die weltumspannende, allesvernichtende Katastrophe, die ein Jahr lang so schön herbeigeschrieben wurde, war’s schon wieder nicht. Da darf man auch mal unzufrieden sein. Wenn man bedenkt, was so ein Weltuntergang uns alles erspart hätte! Den Besuch der Schwiegermutter etwa. Oder letzthin die Wurzelbehandlung. Da wünscht man sich doch ein deftiges Weltgericht herbei. Da kommt wenigstens auch der Zahnarzt nicht ungeschoren davon. Und überhaupt: All die kleinen Sorgen des Alltags wären plötzlich überflüssig. Wer macht sich schon noch darüber Gedanken, wie er sein Wohnzimmer neu streichen könnte, wenn die ganze Stadt in Schutt und Asche sinkt? Angesichts der Apokalypse fällt es auch nicht mehr ins Gewicht, wenn die Hose nicht ganz perfekt sitzt. Und die Unstimmigkeiten letzthin bei der Arbeit sind im Kontext des allgemeinen Untergangs auch völlig zweitrangig. Ja, wir hätten uns vieles ersparen können. Stattdessen müssen wir jetzt also doch noch unsere Probleme anpacken. Lästig, so was. Aber nicht nur deswegen trauere ich der verpassten Weltvernichtung hinterher. Als Frau, die sich dem kritischen Skeptizismus verpflichtet fühlt, hätte ich von der Apokalypse gleich mehrfach profitiert. Angenommen, am 21. Dezember Schlag Mitternacht hätte die Erde zu beben begonnen und ein grelles Licht hätte die Nacht erfüllt: Ja, sicher wäre ich erschrocken. Aber dann hätte ich gedacht: Wow, sieht so aus, als wäre das mit dem Maya-Kalender doch nicht nur blödsinniges Gebrabbel esoterischer Schwachköpfe gewesen. Und das hätte mich wahrscheinlich im tiefsten Herzen sogar irgendwie gefreut. Gibt es einen besseren Gottesbeweis als die Apokalypse? Den Planeten auf Knopfdruck zum Implodieren zu bringen, mag die wirre Allmachtsphantasien einiger Größenwahnsinniger beherrschen, aber im Grunde wissen wir, dass dies nur EINEM zusteht. Und wenn ER (SIE/ES) auf den Knopf drückt, dann beweist ER (SIE/ES) damit zugleich, dass ER (SIE/ES) uns zugesehen hat, all die Jahrtausende lang. Zwar besagt der Untergang auch, dass ER (SIE/ES) mit uns nicht sehr zufrieden war, aber immerhin: ER (SIE/ES) war da. Und im Grunde wäre das keine so schlechte Nachricht, denn dann wäre auch das Ende verhandelbar. Ohne Weltuntergang aber können wir die Mutmaßung, dass wir vielleicht doch ganz allein sind, nicht ausräumen. Ohne Weltuntergang bleiben wir diejenigen, die allein die Verantwortung tragen, nicht nur für uns selbst, sondern auch für den Planeten. Ohne Weltuntergang heißt es für uns weiterhin: die Ärmel hochkrempeln und sich der täglichen Sisyphusarbeit stellen. Wir müssen weiter unsere kleinen Schlachten schlagen. Wir müssen weiter alleine zusehen, wie wir zurechtkommen. Das irdische Jammertal bleibt uns nicht erspart. Und es liegt allein an uns, ob es zu einem Paradies oder zu einer Hölle wird. Ach, Apokalypse. Es hätte so schön sein können mit dir. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal.