Nein, keine Angst, ich werde mich nicht als polemisierende Kampfemanze gegen die stets rettungsbedürftige Hauptfigur Bella ereifern, deren morbider Traum es ist, von einem Untoten mit Superkräften ins Ewige Diesseits befördert zu werden, wo sie ein beschauliches Hausfrauen- und Mutterdasein fristen und täglich Tierblutmenüs kredenzen darf. Mich interessiert vielmehr das Motiv des Wiedergängers, das wohl so alt ist wie die Menschheit selbst und aus dem eine tiefe Wahrheit spricht. Es gehörte und gehört zu den Totenritualen vieler Kulturen, durch verschiedene Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass der geliebte Tote nicht etwa aus seinem ewigen Schlaf erwachen und seinen Hinterbliebenen als polternder Spuk einen Besuch abstatten kann. Nicht umsonst betet man so innig „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe“. Die Angst vor der Rückkehr der Toten mag viele Gründe haben. Einer davon könnte der sein, dass schon die Lebenden sich als manchmal überaus lästige Wiedergänger erweisen. Jeder von uns kennt die unangenehmen Bekanntschaften, die man gelegentlich zu machen gezwungen ist. Das können Menschen im Supermarkt, im Autobus oder im Wartezimmer des Zahnarztes sein, die uns einfach nur durch ihre penetrante Gegenwart nerven. Es können Menschen sein, die im Kino neben uns sitzen und mit Popcorntüten rascheln, die sich während der Fortbildung wichtig machen oder plötzlich vor unserer Tür stehen und uns einen Staubsauger aufschwatzen wollen. Wir beißen die Zähne zusammen und stehen es durch. Und dann versuchen wir, die lästige kleine Episode zu vergessen und uns wichtigeren Dingen zuzuwenden. Schwieriger ist es, wenn wir solche Menschen länger aushalten müssen, wie etwa den Hypochonder in der Reisegruppe, der drei Wochen lang Anekdoten über seine Darmpilze zum Besten gibt und nicht einmal von den Pyramiden von Gizeh zum Schweigen gebracht werden kann. Oder die popelnde Banknachbarin, die uns fünf endlos scheinende Schuljahre mit Papierknöllchen bewirft. Nur eines hält uns bei Laune: Die Aussicht, dass der Tag kommen wird, an dem wir die Kerle los sind und unser Leben endlich wieder einen Sinn hat. Und dieser Tag kommt! Wie befreiend weht es da durch unsere Brust: Hurra, endlich bin ich wieder mein eigener Herr! Aber genau da liegt der Hund begraben: So mancher Zeitgenosse von der lästigen Sorte erweist sich oft als unberechenbarer Bumerang oder genauer: als untoter (weil lebendiger) Wiedergänger. Es können Jahre vergehen. Und dann steht man plötzlich in der Warteschlange vor dem Schalter, und hinter dem Schalter, die Frau mit dem Pferdegesicht, die hab ich doch schon mal irgendwo gesehen: richtig, die Poplerin mit den Papierknöllchen. Da ist sie wieder. Dreißig Jahre älter, um keinen Deut sympathischer. Die Zeit heilt keine Wunden. Damals, als sich endlich die Schulwege trennten, hat man sich noch geschworen: Nie wieder red ich auch nur ein einziges Wort mit der! Und jetzt steht man da am Schalter und ist davon abhängig, dass die Dame einen guten Tag hat.
Je älter wir werden, desto betrüblicher ereilt uns die Erkenntnis: Es gibt kein Entrinnen. Sie kommen alle wieder, die Popcornraschler und Staubsaugerfritzen, die Besserwisser und Witzereißer, die Unverdrossenen und Unkaputtbaren, vielleicht Jahre später und in einem neuen Kontext, aber immer begleitet von der siedendheißen Einsicht: Die wird man nicht los. Vielleicht sollte man dazu übergehen, bestimmte Rituale gegen Wiedergänger bereits bei Lebenden anzuwenden. Manche haben es daher auch tatsächlich schon mit Knoblauch versucht, aber die Ergebnisse sind letztlich enttäuschend. Vielleicht aber muss man auch einfach nur Strategie wechseln? Mein Großvater hatte jedenfalls einen Rat, den ich als Kind nie recht verstanden habe: Leg die Menschen lieber eine Stufe zu hoch ins Regal als eine Stufe zu tief. Damit meinte er: Verscherze es dir mit niemandem. Sei lieber eine Spur zu freundlich als eine Spur zu unfreundlich. Die Weisheit, die hinter diesem Rat steckt, beginne ich erst jetzt zu begreifen: Es kann trügerisch sein zu glauben: Ich kann mich mit diesen Leuten jetzt ruhig daneben benehmen. Die seh ich eh nie mehr. Weit gefehlt: Sie kommen wieder. Und sie haben oft ein gutes Gedächtnis.
Der einzige Trost, der mir bleibt, ist der: Auch ich bin für so manche ein unangenehmer Wiedergänger. Sie dachten, sie seien mich los, aber da bin ich wieder oder noch immer und war gar nie weg. Und Sie, liebe Leserin und lieber Leser, gehören bestimmt auch zum Club. Was bleibt uns denn auch sonst übrig? Wir teilen uns den Planeten mit bald sieben Milliarden Menschen. Aber in unserem kleinen Wirkungsbereich stoßen wir doch immer wieder auf dasselbe Personal. Und vielleicht entdecken wir ja auch noch nette Seiten an unseren „Untoten“. Denn das immerhin zeigt uns die Geschichte der trantütigen Bella: Manche Wiedergänger kann man mit der Zeit sogar liebgewinnen. Die Hoffnung lebt. Bis(s) zum nächsten Mal.