Ihr Bild taucht in Zeitungen immer da auf, wo es um Einwanderer geht: die verschleierte Frau. Sie ist zur Ikone einer Bevölkerungsschicht geworden, die ansonsten wenig gemeinsam hat und aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft, Geschichte und Lebensweise eigentlich kaum unter einen Hut zu bringen ist. Unter dem Kopftuch jedoch findet sich offenbar Platz für alle Zuschreibungen, die wir mit den Begriffen „Einwanderer“, „Migrant“, „Flüchtling“, „Asylant“ oder „Moslem“ in Verbindung bringen.
Es genügt ein Blick auf das Bild, und wir erkennen sofort, worum es im dazugehörigen Zeitungsartikel geht: Wieder einmal um „diese ganze Einwanderersache“. Die Kopftuchfrau hält geduldig ihren Kopf hin, und wir wissen Bescheid. Ob sie auf dem Bild lächelt oder verkniffen dreinsieht, ob sie düster an der Bushaltestelle lungert oder mit dem Kinderwagen unterwegs ist: Wir spüren sofort die unterschwellige Bedrohung, die von ihrem Bild ausgeht. Sie ist uns nicht ganz geheuer mit ihrem Kopftuch. Und das auch völlig zu recht. Wir wissen nämlich schlichtweg alles über sie. Da muss aber auch einmal hervorgehoben werden, wie aufgeklärt die Südtiroler Bevölkerung mittlerweile ist. Sie begnügt sich nicht mehr wie früher, einfach nur andere Leute von fern zu beargwöhnen, sich aber ansonsten keine weiteren Gedanken zu machen. Heute sind wir so weit, dass vom Greis bis zum Kind im Vorschulalter jeder weiß, was er von der Kopftuchfrau und ihresgleichen zu halten hat. Die kommen nämlich her, um unsere Kultur kaputt zu machen. Und das tun sie, indem sie in erster Linie einmal anders sind. Und das wäre ja noch schöner. Wenn hier nämlich jemand das Recht hat, anders zu sein, dann sind das wir, wir sind nämlich nicht nur anders, sondern auch noch besser. Außerdem setzen Kopftuchfrauen lauter kleine Selbstmordattentäter und Kopftuchmädchen in die Welt. Ununterbrochen. Dafür nisten sie sich in komfortablen Sozialwohnungen ein, die sie unseren Leuten weggeschnappt haben und leben von Sozialhilfe, die sie ebenfalls unseren Leuten weggeschnappt haben. Wenn sie keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen, dann nur deswegen, weil sie unseren Leuten die Arbeit weggeschnappt haben. Aber das Wegschnappen geht munter weiter: Unsere Weihnachtslieder schnappen sie uns weg und – am allerschlimmsten – unseren Opferstatus auch noch, den wir seit 1919 so mühsam erworben, gehegt und gepflegt haben. Dabei wissen wir doch, dass es nirgends auf der Welt größere Opfer gibt als uns Südtiroler deutscher Zunge. Und da kommen die daher und reden von politischer Verfolgung, Hunger, Elend, Verzweiflung – das beweist, dass sie nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben.
Vielleicht wäre das Leben mit der Kopftuchfrau erträglicher, wenn sie nicht ständig versuchen würde, uns zu überfremden. Sie macht das besonders geschickt. Sie integriert sich nämlich absichtlich nicht und hockt lieber in ihrer komfortablen Sozialwohnung bei ihren dreiundzwanzig Kindern und bastelt Sprengstoffgürtel. Zugleich arbeitet sie daran, einen Kopftuchfrauen-Schattenstaat aufzubauen. Ja, es ist schon beeindruckend, wie machtvoll diese Kopftuchfrauen sind. Wo wir doch andererseits wissen, dass sie ständig von ihren Pascha-Männern unterdrückt, gequält und geschlagen werden. So etwas könnte einer echten Einheimischen nie passieren.
Kurz und gut: Die Kopftuchfrau steht zweifellos für das Böse in der Welt, für das Unheimliche, Unberechenbare, Bedrohliche. Dabei hat sie jedoch auch etwas Gutes: Man kann sie so leicht erkennen. Durch ihr markantes Aussehen wissen wir schon auf den ersten Blick, womit wir es zu tun haben. Man stelle sich vor, die würden plötzlich alle ihre Schleier ablegen und herumlaufen wie du und ich. Wie sollten wir dann noch durchschauen, wer nun die Unterdrückten, die Feindseligen, die Hasserfüllten, die Unberechenbaren, die Verbrecherischen unter uns sind? Solange es jedoch die Kopftuchfrau gibt, wissen wir, dass wir dem Mann im Armani-Anzug, der Frau mit dem Wickelrock, dem Jugendlichen mit der Glatze oder dem älteren Herrn mit der Lodenjoppe unbekümmert vertrauen können. Das Böse sieht anders aus.