Ethnischer Etikettenschwindel: der Skandal und seine Ausmaße. Und ein Lösungsvorschlag.
Kennen Sie Minas Karatzoglis? Höchstwahrscheinlich nicht – außer, Sie verbringen viel Zeit in Schweden. Dort nämlich ist der Mann – genauer gesagt sein uriges Konterfei – eine fixe Größe. Zumindest im Kühlregal der Supermärkte. Sein Bild ziert das Produkt einer schwedischen Molkerei, die türkisches Joghurt herstellt. Aha, da horchen wir schon mal auf. Schwedische Molkerei stellt türkisches Joghurt her. Dürfen die das? Klingt nach Etikettenschwindel. Und tatsächlich ist die Molkerei deswegen mit einer Klage in der Höhe von fünf Millionen Euro belangt worden. Allerdings ging es dabei nicht um die Bezeichnung „türkisches Joghurt“ – sondern um das besagte Gesicht von Minas Karatzoglis, das dieses Joghurt ziert. Karatzoglis ist nämlich Grieche. Und als er sein markant-bärtiges Antlitz in den Karteien einer Fotoagentur verbuchen ließ, konnte er nicht ahnen, was damit noch geschehen würde. Freilich, dass sein Bild verwendet werden würde, war ihm wohl klar gewesen. Aber doch nicht für diesen Zweck! Ausgerechnet für ein türkisches Joghurt musste er herhalten, ohne sein Wissen, über Jahre hinweg. Wo die Türken doch die Erbfeinde seines Landes sind und schon seine Vorväter gegen sie gekämpft haben. Ein Affront, der nur noch mit klingender Münze wiedergutgemacht werden konnte. Da half auch die Tatsache, dass abgesehen von der Bezeichnung „türkisch“ an diesem Joghurt rein gar nichts mit den Osmanen zu tun hatte, nicht mehr. Nun, die fünf Millionen sind es letztlich doch nicht geworden. In einem Vergleich wurde ausgehandelt, dass Karatzoglis seinen Schmerz auch mit lumpigen 200.000 Euro besänftigen kann. Allerdings steht zu befürchten, dass der 77-jährige dennoch nie wieder ruhig schlafen wird. Eine ganze Nation hat ihn jahrelang für einen Türken gehalten. So einen Schlag kann man nur schwer verkraften. Karatzoglis hat mein ganzes Mitgefühl. Zugleich aber denke ich auch sorgenvoll an uns Konsumenten. Ständig werden wir an der Nase herumgeführt. Schwedische Molkereien türken Griechen. Germany’s Next Topmodel ist eine Österreicherin. Und die nordkoreanischen Fans bei der Fußball-WM waren eingekaufte Chinesen. Man kann seinen Augen nicht mehr trauen, und selbst Gütesiegel, Dachmarken und Echtheitszertifikate hinterlassen einen schalen Beigeschmack. Wie war das denn mit dem Wiener Schnitzel und der Krakauer Wurst? Wo kommt der Camembert her und wer trinkt noch Prosecco aus Prosecco? Gut, an solche kleinen Täuschungen haben wir uns gewöhnt. Wir wissen, dass weder die Bezeichnung „Parmesankäse“ noch „Peking Ente“ wörtlich zu nehmen sind. Aber dass jetzt auch noch bei Menschen Etikettenschwindel betrieben wird! Demnächst wird noch aufgedeckt, dass die schwedische Königin eine Deutsche ist und die französische First Lady Italienerin, der erfolgreichste Luxemburger Skirennläufer aller Zeiten ein Vorarlberger und der große kubanische Revolutionär Che Guevara Argentinier. Da gerät doch ein Weltbild ins Wanken. Wo soll das hinführen! Hier muss schleunigst eingegriffen werden, am besten per EU-Verordnung. Es kann nicht sein, dass französische Flamencotänzerinnen für spanische Kastagnetten werben oder tschechische Kellnerinnen Südtiroler Bier servieren. Da muss schon genauer hingesehen werden. Denkbar etwa, neben den DOC-Qualitätssiegeln auch POC-Siegel einzuführen („Persona di Origine Controllata“) oder, ähnlich wie bei der Hundemarke, Herkunftsgarantien per Chip unter die Haut zu setzen. Ansätze zu solchen ethnischen Reinheitsgeboten gab es bekanntlich schon früher, und da können heutige Generationen von den Fehlern der Vergangenheit lernen. Konsequenz und Eindeutigkeit, nationale Unterscheidbarkeit und lückenlose Nachvollziehbarkeit der Herkunft müssen die gebotenen Stichworte der Stunde sein: Danach darf sich niemand mehr mit fremden Federn, Fahnen oder Gamsbärten schmücken, auch nicht im Urlaub oder bei Sportereignissen. Fans, die nicht für ihr eigenes Land grölen, werden ohnehin scheel angesehen. Das Tragen artfremder Trachten soll also allerhöchstens mal an Fasching erlaubt sein. Ansonsten bleibe jeder klar erkennbar das, was er von Herkunft ist. Tiroler mögen also bitte zukünftig nur noch mit Lederhosen und Dirndl auftreten, aber so, dass sie nicht mit Bayern oder – noch schlimmer – Polen verwechselt werden können. Die deutsche Frau hingegen färbt fortan ihr Haar ausschließlich blond. Das mag einschränkend klingen, aber mit der heutigen Auswahl an Haarfarben ist das kein Problem mehr. Sie kann sich immerhin zwischen Gretchen-Blond, Rapunzel-Blond und Veronika Ferres-Blond entscheiden. Marilyn-Blond scheidet freilich aus dem Sortiment aus, das ist US-Amerikanerinnen vorbehalten. Gewiss, schon jetzt zeichnet sich ab, dass es etwa Streitereien zwischen Nachbarstaaten geben wird. Wer darf welchen Bart, wer welchen Hosenträger beanspruchen? Und wenn es dann um die Reglementierung der spanischen, italienischen und griechischen Profile geht, wird es tatsächlich heikel. Am Ende stellt sich noch heraus, dass Minas Karatzoglis eine regelwidrige Nase aufweist und seine Gesichtsfrisur gegen die griechischen Zulassungsbestimmungen verstößt und er daher entweder sein Aussehen ändern oder in die Türkei auswandern muss. Und das, nachdem er so erbittert für sein Recht gekämpft hat, nicht für einen Türken ausgegeben zu werden. Nicht einmal für ein schwedisches Joghurt. Wie gesagt: Mein Mitgefühl hat er.