Pst, liebe Leserinnen und Leser, leise. Senken Sie beim Lesen dieses Textes ihre Stimme auf Flüsterton. Ja, auch Ihre innere Stimme. Man weiß nie, wer zuhört. Ich selbst sitze beim Schreiben grade in meinem unterirdischen Bunker im flackernden Licht einer nackten Glühbirne aus dem vorigen Jahrhundert und hoffe, dass mir niemand über die Schulter blickt. Man weiß ja nie. Es geht um die nationale Sicherheit. Und nicht nur um die. Wenn dieser Text in die falschen Hände gerät, kann es Tote geben. Im Ernst. Ich trage eine hohe Verantwortung. Auch für Sie. Wer weiß, was Ihnen passieren kann, wenn Sie mit diesem Text gesehen werden. Ich habe nämlich beschlossen, über den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – zu schreiben. Oder eigentlich gar nicht über den  – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –, sondern über den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –ismus. Oder eigentlich auch gar nicht über den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –ismus, sondern über die Unmöglichkeit, darüber zu schreiben. Oder zu sprechen. Oder – pst – zu denken. Geht ja alles nur ganz leise, ganz vorsichtig. Ja nichts nach außen dringen lassen. Wir wollen doch nicht den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – isten auf die Zehen treten. Dann brennen nämlich wieder Fahnen. Stellen Sie sich das mal vor. Nur, weil ich in einer mäßig lustigen Stunde einen schlechten Witz mache, stürmt ein entfesselter Mob die irische Botschaft. Oder die ungarische. Oder überhaupt jede Botschaft eines Landes, das ähnliche Farben in der Flagge trägt wie die italienische. Da sind sie gründlich, die – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –isten. Lieber einen Botschafter mehr umbringen als einen zu wenig. Das hat er davon, dass er mich nicht dran gehindert hat, meinen miesen Witz in die Welt zu setzen. Ist ja auch indiskutabel. Wie komme ich eigentlich dazu, schlechte Witze zu machen. Also, nicht, dass ich das nicht prinzipiell dürfte. Also schlechte Witze über meine Oma zum Beispiel, die sind absolut drin. Oder über Berlusconi. Oder den Papst. Da beleidige ich ja auch nur irgendwelche Menschen und verletze allenfalls Persönlichkeitsrechte. Und öffentliche Persönlichkeiten dürfen sich ja sowieso nicht dagegen wehren, wenn sie in den Schmutz gezogen werden. Da hätten sie ja auch ganz schön viel zu tun. Aber auch Institutionen darf man gefahrlos beleidigen. Schulen etwa oder Parlamente. Ganze Berufsgruppen oder Ethnien kann man ungeschoren durch den Kakao ziehen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist ein Gerichtsprozess, bei dem man eine Geldstrafe aufgebrummt bekommt. Hier ist also das Tummelfeld für alle, die ehrenrührig zu Werke gehen möchten. Anders ist es im Bezug auf den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –. Wehe, wem hier ein kritisches Wort entschlüpft. Horden meuchelnder Massen stehen in den Startlöchern und warten nur auf den geringfügigsten Anlass, um alles kurz und klein zu hauen.

Angst geht um. Mit dem – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – hat man nichts zu lachen, das wissen wir mittlerweile. Die – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –isten sind eine Bande irrationaler, blutrünstiger, ungebildeter Gewalttäter, mit denen man lieber nichts zu tun haben möchte. Also kein Wort über den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – . Schweigen wir ihn tot, bevor uns die – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –isten für die unterirdischen Witze geschmackloser Möchtegernkünstler kollektiv bestrafen. Wir distanzieren uns entschieden von allen, die jemals etwas gegen den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –  gesagt, geschrieben oder gezeichnet haben. Wir entschuldigen uns für sie, wir betonen, wie schlimm wir es finden, dass hier jemand so unsensibel und niederträchtig agiert, wir weisen alles von uns. Ein Glück, dass wir uns nicht für alle unsensiblen und niederträchtigen Machwerke, die im World Wide Web existieren, entschuldigen müssen. Da kämen wir nicht mehr zu Rande. Wir entschuldigen uns also nur im Bezug auf den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – . Aber das könnte ein Fehler sein. Besser, wir gehen auf Nummer sicher. Nur, weil sich etwa die römisch-katholische Kirche seit einiger Zeit ziemlich viel gefallen lässt (oder: lassen muss), heißt das nicht, dass das so bleiben wird. Ein paar gewaltbereite Schwachköpfe lassen sich doch sicher auch in deren Reihen finden. Und wenn das nächste Mal ein Schmähvideo über den Papst oder das Wunder von Medjugorie auftaucht, brennen halt plötzlich ein paar Autos. Das wäre nur konsequent. Ich sehe schon marodierende Lehrer durch die Straßen ziehen und Molotowcocktails werfen. Politiker, die frechen Bloggern auflauern. Chinesen, die sich Sprengstoffgürtel umschnallen, wenn noch einmal einer ihren L-Akzent nachmacht. Das Beispiel, das der – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –ismus vorlebt, macht Schule. Wer beleidigt wird, ärgert sich nicht mehr im Stillen, sondern greift zur Gegenwehr.

Sie sagen,  irgendwie ist dieses Szenario nur schwer vorstellbar? Wir sind doch, finden Sie, schon einen Schritt weiter? Wer beleidigt wird, weiß, dass er es auszuhalten hat. Nicht, weil der, der ihn beleidigt, recht hat. Sondern weil eine übertrieben heftige Reaktion dem Beleidiger recht zu geben scheint. Sich beleidigen lassen zu können gehört zu den gesellschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit. Doch ein Blick zurück genügt, um unsere scheinbare Überlegenheit in Frage zu stellen, und dieser Blick muss nicht etwa zurück ins Mittelalter gehen. Es ist noch nicht lange her, dass vor dem Museion in Bozen Protestaufmärsche stattfanden, weil ein gekreuzigter Frosch angeblich die Seelenruhe der Christenheit trübte. Dass es nicht zu Schlägereien kam, verdanken wir wahrscheinlich weniger unserer zivilisatorischen Überlegenheit als dem Umstand, dass hierzulande auch die Fanatiker mehr zu verlieren haben als in Gegenden, in denen vielen Menschen sowieso alles aussichtslos erscheint.

Das Bild, das wir uns von einem anderen machen, ist nicht so sehr durch die Schmähungen geprägt, die es gegen ihn gibt. Sondern durch die daraus erwachsenden Reaktionen. Jemanden, über den man nicht lachen und der auch nicht über sich selbst lachen kann, halten wir lieber von uns fern. Wir schlagen uns lieber zu denen, die einen schlechten Scherz mit Gelassenheit hinnehmen. Irgendwie, haben wir den Eindruck, sind die vielleicht doch ganz in Ordnung.

Nebenbei bemerkt gibt es auch viele Anhänger des – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt –, denen Gelassenheit und Humor nicht fremd sind – sie bilden sogar die Mehrheit. Dass sie nicht oder zumindest kaum wahrgenommen werden, liegt daran, dass die Tumulte weltweit in den Vordergrund gerückt sind. Aber ganz ehrlich? Solange schlechte Scherze zu chaotischen Zuständen und sogar Toten führen, wird die Angst vor dem – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – nicht kleiner werden. Die Lösung kann allerdings nicht darin bestehen, sämtliche Äußerungen, die den – Wort aus Sicherheitsgründen entfernt – in irgendeiner Form beleidigen könnten, zu verbieten. Wir können uns nicht aus Furcht einen Maulkorb verpassen (lassen). Kritik, Satire, sogar Geschmacklosigkeiten müssen möglich sein. Das Urteil darüber kann nicht mit der Faust gefällt werden. Es gibt einfachere Möglichkeiten. Auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, wissen, wie Sie mit diesem Text verfahren können, wenn er Ihnen nicht gefällt. Statt mir einen Drohbrief zu schicken oder wahllos eine Frau meines Alters zu verprügeln, können Sie ihn einfach in die Ecke werfen. Ich verspreche, er wird still dort liegen bleiben, Sie brauchen ihn nicht einmal zu verbrennen. Sie sind mächtiger als er. Sogar, wenn Sie gar nichts tun. Eigentlich doch ein schönes Gefühl, oder?


Pst - Zensur!

September-Beitrag für die swz 2012

 
 

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